Reingeschaut

Reingeschaut: Wie sieht die Jugendsozialarbeit im Lockdown aus?

Ich erinnere mich an das Gefühlschaos im März 2020: „Boah, wie sollen wir denn zwei Wochen den Jugendtreff zu lassen und dennoch die Jugendlichen erreichen.“

Zwei Wochen sind dann leider nicht zwei Wochen geblieben.

Nach dem ersten Schock haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, passende Plattformen im Internet zu finden, die für Jugendliche interessant sind.

Welche Seiten und Programme sind sicher für junge Menschen und ihre Daten? Geht es dabei um Freizeitbespaßung oder um mehr? Wie können wir denn auch die Leute erreichen, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt? Wie erfahren wir von Gewaltfällen zu Hause? Bewerbungstrainings und Jobsuche per Videokonferenz?! Digitalisierung??

Diese Themen waren wohl die dringlichsten Anliegen, doch wie kriegen wir das gelöst?

Die offene Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit steht und fällt mit dem direkten Kontakt – Der Blick in die Augen, das Verstehen von Mimik, Gestik und Haltung und die Niederschwelligkeit funktionieren auf digitale Weise nicht (gleich).

So, dann bin ich im Homeoffice und die nächste krasse Änderung in meinem Arbeitsalltag:

Ich sitze am PC und schreibe, aber niemand klopft an die Tür: „Ist es ok, wenn wir den Ball mitnehmen?“, „Hast du gleich mal kurz Zeit?“

Diese Ruhe ist für mich fast verstörend. In den letzten Jahren habe ich mir antrainiert aus einem Thema ein- und austauschen zu können und auch bei lautstarker Musik die Konzentration zu bewahren.

Jetzt fällt mir die Konzentration schwer. Die Gedanken kreisen und ich frage mich, was wohl die jungen Leute treiben. Wie sie mit den schwierigen Situationen umgehen. Wen sie um Rat fragen…

Auf heißen Kohlen sitzend haben wir den Lockdown im Frühjahr 2020 überstanden und schnellstmöglich Kontakt zu den Jugendlichen gesucht. Ab auf die Straße, gucken wo sie denn wohl stecken.

Als wir von der Möglichkeit der Wiederöffnung gehört haben, stand das Konzept in kürzester Zeit. Ob nur zwei Stühle nebeneinander oder Bänke mit markierten Kreuzen, später dann 10er Gruppen, alles war ok.

Doch dann im Dezember der zweite Lockdown…

Der Computer ist gut sortiert, die Anträge und Konzepte geschrieben, der Stundenplan für die Online-Angebote steht.

Aber wo sind die Jugendlichen?? Auf jeden Fall nicht in den digitalen Angeboten…

Nach einem Jahr mit unzähligen Versuchen irgendwas für die Jugendlichen auf die Beine zu stellen, haben die Jugendlichen mittlerweile keine Lust mehr an noch einem Online-Spieletag teilzunehmen, oder hinter einem Bildschirm zu hocken und Sport auf Distanz zu machen.

Verständlicherweise!

Seit den ersten schönen Februartagen ist klar: Alle sind draußen… nur wir nicht…wie doof!

Die Verstöße gegen die bestehenden Maßnahmen häufen sich, die Geduldsstränge reißen aller Orts.

Mich hält es auch nicht hinter dem Computer… also wie kann ich vorbildlich und verantwortungsbewusst handeln, und doch die Jugendlichen erreichen? Versuchen die nächsten 250€ Strafe zu vermeiden?

Nach Gesprächen mit der Stadt, einem Konzept zur gesundheitlichen Aufklärung und einem äußerst erfolgreichen Spendenaufruf (danke liebe Grevenbroicher!) für Masken und Desinfektionsmittel, sind wir endlich wieder vor Ort unterwegs.

Zusammen mit dem RheinFlanke-Team decken wir die jungen Menschen mit Masken ein und führen Gespräche über die Ernsthaftigkeit des Virus, das uns langsam alle um den Verstand bringt, aber auch über das, was den Leuten auf dem Herzen liegt. Was macht die Isolation mit dem Einzelnen? Sozial, psychisch und auch physisch.

Wir kriegen mit, dass die Grenze des Aushaltens absolut erreicht ist?

Wie kann man seine Identität finden, wenn man nicht vor die Türe kommt? Wie soll man denn seine Jugend genießen, wenn man sich maximal zu zweit treffen kann…

Ich bin beeindruckt wie sehr sich die Jugendlichen zusammengerissen haben, obwohl sie so sehr verzichten mussten.

Hoffentlich hat der ganze Spuk bald ein Ende und wir können unserer Arbeit wie gewohnt nachgehen.

Unsere Türen öffnen, sich wieder die Hände schütteln, zusammen Sport machen oder einfach mal entspannt nebeneinandersitzen und über ein anderes Thema als die neue Verordnung reden.